Magdalena West

Vom Zweck und Nutzen der Löcher

Meinen Bildern geht so etwas wie eine psychopoetische Idee voraus. Mit welchen Mitteln diese Idee umgesetzt werden soll, ist vorher im Groben angelegt: Das betrifft etwa die Vorstellung einer Farbigkeit, Dynamik oder der psychischen Beschaffenheit des Raumes. Zuerst werden die wesentlichen Merkmale des Raumes umgesetzt, bevor ein organischer, lebendiger Gegenstand hineingemalt werden kann. Denn das Verhalten des lebenden Organismus wird durch die Bildwelt bestimmt. Anschließend kann der Raum auf den Körper erneut reagieren. Dadurch entstehen auch unterschiedliche Zeitzustände in einem Bild. Ausnahmen bilden bisweilen Mischgebilde und „metaphysische Körper“, wie z.B. der Lazarus von 2012, der gleichzeitig mit dem Bildraum entstanden ist.
Alle erschaffenen Formen sind aus dem Gedächtnis gegriffen. Dort existieren die verschiedensten wahrgenommenen Formen, z.B. von einem Vogel, Waschbecken oder einer Linie. Aus diesen vielen Eindrücken von Gegenständen, die im Gedächtnis bestehen, wird eine Form entwickelt, die aus einer Art Mischung der Varianten dieser Gegenstände besteht, die man einmal wahrgenommen hat. So manifestiert sich dann eine Idee von einem Waschbecken in einem Gegenstand, der eine waschbeckenähnliche Form aufweist. Wenn ich mir vorher irgendeinen Gegenstand ansehe, dann nicht nur um mir ein konkretes Detail zu merken, sondern auch um einen bestimmten psychischen Reiz wahrzunehmen, nach dem ich für mein Bild suche.

Die erinnerten, psychisch beladenen Vorstellungen verschmelzen zu einer neuen Einheit und es beginnt die Entstehung neuer Räume. Der Mensch ist schließlich auch ein psychosebegabtes Wesen. Entscheidend sind für mich bestimmte Gesetz- mäßigkeiten bei der Zusammensetzung der Wahrnehmungen, z.B. ob der gemalte Gegenstand vielschichtige und gemeinsame Erinnerungsreize auslösen kann.
Manchmal füge ich an einer Stelle des Bildes einen einfachen, bekannten Gegenstand ein, um den Ausdruck der „erfundenen“ bildnerischen Mittel zu verstärken, indem zwei unterschiedliche Wahrnehmungsebenen aufeinandertreffen. Wie wenn man einen kratzigen Geigenton vor einen sanften setzt, um ihn noch sanfter erscheinen zu lassen. Und ein Loch, durch das Materielle bedingt, betont das haptische Außenherum und umgekehrt. Für manche stellt es einen Ausweg dar oder wieder eine neue Falle, für andere ein Geheimnis oder eine Pause.
überhaupt spielen Löcher bei mir als gestalterisches Mittel eine wichtige Rolle. Plant man im Bildaufbau unvorhergesehene Löcher mit ein - seien sie geistiger oder formaler Natur – so wird zwangsläufig dort, wo sich ein Loch befindet, das Gemalte darüber entscheiden, ob das Bild gelingen wird. Sollte kein einheitliches Gefüge erreicht worden sein, so kann auf diese Weise direkt in die ursprüngliche Bildabsicht eingegriffen werden und etwas Überraschendes geschehen. Als kompositorischer Bestandteil wirken sie weiter als eine Form des Nonfinito. Somit kam ich auf die Idee für einen Ausstellungstitel: Vom Zweck und Nutzen der Löcher.

©2014

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